Astrolabium

Bremen / Haifa 2012

Fünfzehn Leuchtkästen werden von einer Audio-Spur begleitet, die die Geräusche einer Sommernacht aufrufen: Liebende, die sich gegenseitig Gedichte auf Jiddisch zuflüstern, Grillengesang und eine Klezmerisierte Version von “The imperial march” (star wars) die immer wieder zu von weitem zu hören ist.

Bei näherem Hinsehen entpuppen sich diese Bilder von Galaxien jedoch als pointilistische Zeichnungen: Die Löcher erweisen sich als Fressspuren des gemeinen Nagekäfers, auch als Anobium punctatum oder Holzwurm bekannt. Dieses Insekt hat in unzähliger Kleinarbeit Bilder auf die Seiten eines beinahe ebenso mühevoll erstellten Archives von Kolumnen gezeichnet, die eine unbekannte Person aus verschiedenen jiddischen Zeitungen der 1950er Jahre zusammen- getragen hat. Über Jahrzehnte wurden die Archivblätter aufgehoben und weitergereicht, bis sie auf Umwegen von Kanada über Tel Aviv nach Bremen gelangten und zu einem Bestandteil der Arbeit Astrolabium wurden.

Ein Astrolabium ist ein Messgerät, das den Abstand zwischen den Sternen und dem Horizont misst. Die Basis der Arbeit Astrolabium bildet eine Grenzüberschreitung: anstelle der stofflichen Ergebnisse menschlicher Kreativität werden Löcher sichtbar gemacht, die Insekten produziert haben. Sie stehen für jene Löcher, die durch Zerstörung in den Archiven der Geschichte entstehen. Archive speichern Daten und Fakten, aber das Leben und seine Geschichten fehlen. Diese Löcher in den Archiven gilt es mit Geschichten aufzufüllen. Im übertragenem Sinne erlebte das Archiv durch seine Zerstörung eine Metamorphose. Anders ausgedrückt entstehen durch die Sichtbarmachung der Löcher astronomische Objekte. An diesen Gestirnen kann die Zeitspanne zwischen den Generationen und dem damit einhergehenden Verlust von Details in der Weitergabe von Geschichte gemessen werden